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Montag, 29. April 2024

„Ein Erklärfilm hilft da nicht!“

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Drei Agenturen produzieren gemeinsam einen Spielfilm – mit Hollywood-Akteuren. Weshalb sich drei „Konkurrenten“ zu diesem ungewöhnlichen Projekt zusammengetan haben - ein Gespräch mit Holger Koenig, Geschäftsführender Gesellschafter Koenigsfilm, Achim Hubener, Projektverantwortlicher von wdv, und Christian Fill, Geschäftsführender Gesellschafter Profilwerkstatt.

BEN,FRANKLY., © Koenigsfilm

Es muss Sie ganz schön Überwindung gekostet haben: Drei Wettbewerber arbeiten zusammen, als Produzent und Co-Produzenten. Wie oft hat es am Set gekracht?

Holger Koenig: Die Arbeit am Set verlangt von allen Beteiligten große Disziplin. Da bleibt speziell in einer Größenordnung wie bei BEN, FRANKLY. kein Spielraum für Divenhaftigkeit.

Achim Hubener: Zumal die Rollen exakt verteilt sind: Koenigsfilm produziert den Film, wdv und Profilwerkstatt sind Co-Produzenten.

Christian Fill: Wir sind schließlich nicht „The Good, the Bad and the Ugly“. Wobei … dieser Film ist ein großartiges Beispiel für Storytelling auf mehreren Ebenen. Sergio Leone, der Regisseur, sah sich in der Tradition Homers als Geschichtenerzähler. Der namenlose Fremde war für ihn eine Variante des leidensfähigen, listenreichen Odysseus …

Achim Hubener: Du kommst ins Schwärmen, zu Recht. Das Geschichtenerzählen treibt die Anfangsszequenz von SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD. Scheinbar keine Handlung, Spannung pur, und doch erzählt Leone in zwölf Minuten den Niedergang des Westernfilms, wie ihn damals das Kinopublikum kannte.

Dann eint Sie also die Vorliebe für Genres und Regisseure im Allgemeinen und für das Geschichtenerzählen im Besonderen?

Holger Koenig: Einen Spielfilm wie BEN, FRANKLY. kann man natürlich nicht mit einem normalen Videoteam produzieren. Schon gar nicht, wenn man Schauspieler aus Hollywood nach Deutschland holt, was uns gelungen ist. Wir haben eine Spielfilmcrew ans Set gebracht – echte Experten – und dabei sind wir dann auch Enthusiasten, wenn es ums Handwerk geht, und wir das bestmögliche Ergebnis erzielen wollen. Und wir sind auf jeden Fall Evangelisten, was Storytelling betrifft.

Christian Fill: Bei aller Einigkeit an der Basis: Partner dürfen aber auch mal unterschiedlicher Meinung sein. Bei BEN, FRANKLY. etwa schätze ich den persiflierenden Umgang mit Storytelling, Ideenfindung und Geschichtenentwicklung. Eine Meinung, die nicht von allen geteilt wird.

Holger Koenig: Aber BEN, FRANKLY. arbeitet genau nach dem Prinzip des Storytellings. In der ersten Minute lernt das Publikum den Helden kennen, dann gibt es den Moment, in dem der Zuschauer genau weiß, mit wem er sich identifizieren soll, nämlich mit ihm. Professor Harrison hat ein Ziel: Er will einen Film über Benjamin Franklin machen. Er gerät in einen Konflikt mit dem Produzenten Caesar, der nichts vom Drehbuch hält und muss verschiedene Hindernisse überwinden, um … na, ich will nicht zu viel verraten. Das Besondere ist: Dieser Film funktioniert nach Storytelling-Regeln und hat dieses Handwerk gleichzeitig zum Inhalt.

Achim Hubener: Das stimmt schon, die Elemente, die man für Storytelling braucht, sind alle vorhanden. Aber der Weg scheint so beliebig. Caesar hilft der geschichtlichen Realität mit dem Brecheisen nach. Verbiegen und schummeln – so ziemlich das Gegenteil von dem, wie wir drei unseren Job verstehen. Hoffentlich setzt sich die Methode, die Caesar und Harrison im Film anwenden, nicht im Content Marketing durch.

(v.l.) Holger Koenig, Achim Hubener und Christian Fill

Guter Punkt: Geschichtenerzählen und Geschichtenerzählen ist zweierlei. Man hat den Eindruck, dass sich Unternehmen häufig schwer mit Storytelling tun.

Holger Koenig: Mit echtem Storytelling.

Gibt es unechtes? Das müssen Sie jetzt konkretisieren…

Christian Fill: Holger Koenig hat sogar einen eigenen Hashtag dafür kreiert …

Holger Koenig: … aber nicht, weil wir erneut die Inflation eines Fachbegriffs erleben. Ich habe den Hashtag #realstorytelling eingeführt, weil der Begriff Storytelling oft falsch benutzt wird. Da steht jemand vor der Kamera und erzählt etwas, und das wird dann als Storytelling ausgegeben. Das ist Quatsch. Echtes Storytelling ist das Handwerk der Autoren und Filmemacher, ein Beruf, den man lernt. Deswegen „Real Storytelling“.

Christian Fill: Unter diesem Hashtag können wir noch viel Aufklärungsarbeit betreiben. Ich erlebe es zu oft, dass Storytelling – ein Handwerk – mit Gattungsbegriffen, hauptsächlich Content Marketing, synonym gebraucht wird. Das ist schlichtweg falsch. Die Profilwerkstatt führt Storytelling seit 2009 im Kern ihrer Marke – mir scheint manchmal, als sei die Zeit stehen geblieben.

Achim Hubener: Gerade dann dürfen wir nicht lockerlassen. Wenn ich erkläre, wie Storytelling wirkt, zeichne ich einen Kreis. Und schreibe „Überzeugungskraft“ dran. Drei Viertel des Kreises stehen für die überzeugendste Methode – mit seiner Zielgruppe das „Leben zu teilen“. Nichts überzeugt mehr als das Leben selbst. Was allerdings äußerst aufwendig und daher für Unternehmen ziemlich unpraktisch ist.

Was dann stattdessen?

Achim Hubener: Der klassische Weg: Unternehmen nutzen Argumente, um ihre Kunden zu überzeugen. „Argumenten“ gehören ungefähr zehn Prozent des Kreises. Der Rest aber, das ist die Methode, die mit ihrer Überzeugungskraft so nah wie möglich an „Leben teilen“ herankommt. Nämlich, wenn man das Leben erzählt. Das ist Storytelling.

Das hilft? Wirklich?

Achim Hubener: Das ist zwar nicht wissenschaftlich, aber plastisch. Ja, in der Regel hilft's.

Holger Koenig: Das Kreisbild verdeutlicht doch: Geschichten geben dem Leben einen Sinn, weil Menschen in Geschichten denken und sie durch nichts besser erreicht werden. Wir wissen alle, dass Werbung nicht mehr wirkt, und Menschen mindestens 30 Prozent ihrer wachen Zeit mit Tagträumen und Fantasien beschäftigt sind. Allerdings nicht im Kino oder beim Lesen eines guten Romans oder einer spannenden Reportage – da tauchen wir ein, da sind wir mittendrin.

Christian Fill: Das ist ein Axiom der Kommunikation. Ein Grundsatz, der keines Beweises bedarf: die richtige Geschichte erzählen, zur richtigen Zeit den richtigen Menschen mit der richtigen Wirkung. Das geht seit Jahrtausenden so.

Holger Koenig: Und am Anfang stand das Bild, das einen Storyloop eröffnet: Mann steht vor Büffel. Wird er überleben?

Christian Fill: Der Jäger gewinnt immer … Die Geschichten an den Wänden der Grotten von Lascaux zählen sicher zu den ersten Storys, mit denen Menschen eingefangen wurden. Danach haben sich die Regeln gefestigt oder wurden gezielt gebrochen – die Linie führt von Homer zu Homer Simpson …

Achim Hubener: Zum Glück liegen da ein paar Klassiker und Könner dazwischen.

Christian Fill: Ohne die Sagen des klassischen Altertums hätte es keinen Dante, keinen Shakespeare oder Cervantes gegeben. Storytelling zieht sich wie ein roter Faden durch die literarischen Meisterwerke. Im 20. Jahrhundert lösten wieder Bilder, allerdings bewegte Bilder, das Schriftbild als Mittler ab.

Holger Koenig: Dieses Gesetz des Storytellings funktioniert auch im Kontext mit Unternehmen gut. Wir erklären Storytelling unseren Auftraggebern gerne so: Du hast nur dann eine Story, die dein Publikum interessiert, wenn du bestimmte Zutaten hast – etwa einen Helden, der nie dein Unternehmen ist, sondern immer dein Kunde. Dieser Held hat ein Problem, das er überwinden muss, um sein Ziel zu erreichen. Dieses Problem kann er nur überwinden, wenn er Hilfe bekommt. Und diese Hilfe, dieser Guide, das bist du, das Unternehmen. James Bond hat Q, Luke Skywalker hat Obi Wan, dein Kunde hat dich.

Trotzdem scheinen Unternehmen lieber zuerst und vor allem die eigene Geschichte erzählen zu wollen.

Holger Koenig: Sagen Sie das nicht. Ein Klassebeispiel für Storytelling im Corporate Bereich sind für mich die Gleisgeschichten der ÖBB, übrigens Gewinner des Grand Award beim Best of Content Marketing. Mein persönlicher Favorit ist „Romeo – der jüngste Zugbegleiter Österreichs“. Nicht die reine Storytellinglehre, aber Regeln sind auch dazu da, dass man sie bricht.

Achim Hubener: Für eine Story, die Menschen bewegt und sie so schnell nicht mehr loslässt, braucht es einen anderen Umgang mit den Protagonisten. Man muss sich auf sie einlassen. Man macht sich in hohem Maß von der Lebenswirklichkeit der Protagonisten abhängig; die Story steht und fällt mit diesen Menschen. Gerade ihre Ecken und Kanten und Eigenheiten machen sie zu etwas ganz Besonderem. Also im besten Sinn zu Helden.

So etwas gibt es kaum im Unternehmensfilm …

Achim Hubener: … der einem anderen filmischen Ansatz folgt: Firmengebäude, Drohnenflüge, Geschäftsführer und Mitarbeiter in Großaufnahme, das ist ästhetisch, da geht man auf Nummer sicher. Und erfüllt andere Aufgaben als ein Film, der eine Geschichte erzählt.

Versuchen Sie, Unternehmen von einem künstlerischen Format zu überzeugen? Kurze Videos gibt es doch zuhauf in der Unternehmenskommunikation.

Holger Koenig: Stimmt, aber nur, weil ein Video kurz ist, ist es noch lange kein Kurzfilm. Der Begriff Kurzfilm bezeichnet immer einen Spielfilm mit einer Länge bis zu 30 Minuten. Wir sprechen von Fiction, wenn wir Kurzfilm sagen, und es ist auch ganz gut, mit einem gewissen Respekt an die Sache ranzugehen.

Christian Fill: Mit Respekt und mit Begeisterung. Wir arbeiten gerade an Filmadaptionen einer Reihe von Science-Fiction-Kurzgeschichten, die aus der Feder eines unserer besten Autoren stammen – für ein Technologieunternehmen. Da kommt eins zum anderen: die Lust am Geschichtenerzählen, die passenden Inhalte, die Visionen, die Szenarien.

Klingt ein wenig nach Selbstverwirklichung. Fiktionale Kurzfilme spielen doch überhaupt keine ernst zu nehmende Rolle.

Holger Koenig: Das stimmt so nicht. Da gibt es auch als „Branded Entertainment“ eine Reihe phantastischer Ergebnisse. Berühmt ist die THE HIRE-Serie von BMW, besonders die Folge mit Madonna und Clive Owen. Das Budget ist sicher ein Grund, warum es nicht so viele Projekte dieser Art gibt. Insgesamt fehlt es womöglich aber mehr an guten Stoffen für fiktionale Kurzfilme von Unternehmen. Sowie am Wissen, wie man eine gute Story erkennt und welche Wirkung sie erzielen kann.

In den USA nennt man Ihre Zusammenarbeit „Coopetition“ – wenn „competitors“ kooperieren. Hand aufs Herz: Würden BEN, FRANKLY. wieder machen?

Achim Hubener: Uns hat gefallen, dass ein Mitbewerber etwas Neues ausprobieren wollte. Wenn jemand wie Holger Koenig so viel Herzblut in ein mutiges Projekt steckt, dann wollten wir ihn unterstützen. Von „Das haben wir schon immer so gemacht!“ und „Wir wissen längst, wie's geht!“ gibt's wahrlich genug.

Holger Koenig: Wettbewerber, lass‘  mal die Kirche im Dorf.

Christian Fill: Doch, doch, die Frage wurde oft gestellt, von jenen, die Bescheid wissen durften, dass wir etwas vorbereiten. Wie, ihr arbeitet zusammen?

Achim Hubener: Das ist doch das Salz in unserer Suppe. „Coopetition“? Da kann ich für wdv nur sagen: mehr davon! Warum sollten wir den Competition-Teil hinter uns lassen? Wer Angst davor hat, dass der andere etwas besser kann, sollte nicht kooperieren. Harmoniesucht bringt niemanden voran, auch nicht die Haltung: Wir wissen und können das eh alles besser! Sondern das ehrliche Signal: Ich kann und möchte jede Menge von dir lernen.

Holger Koenig: Ich kann Achim nur zustimmen. Wer genug Demut mitbringt, um zu sagen, ich weiß nicht alles, und ich will besser werden, für den ist so ein Projekt genau das richtige.

Christian Fill: Als Holger anrief und mir dann ein verwackeltes Video der Vorlage, ein Bühnenstück, schickte, da war es für mich keine Frage mehr, ob die Profilwerkstatt Co-Produzent wird, sondern nur in welchem Rahmen wir was leisten können. Ich glaube, wir haben in dem Projekt viele gängige Klischees bedient; vor der Kamera etwa herrscht mehr die Konzentration als die Emotion. Die wiederum findet man eher hinter der Kamera, am Round Table der Produzenten, wenn es an die Vermarktung geht.

Dann hat es also doch gekracht, an diesem Round Table?

Christian Fill: Gegensätze machen die starke Anziehungskraft dieses Projekts aus, in allen Bereichen: Einen Film mit Hollywood-Schauspielern in einer Location in Wuppertal zu produzieren; Regeln neu zu definieren und Historie zu ignorieren; eine Zusammenarbeit zu wagen, die keiner in der Branche erwartet; das ist genau das Ding der Profilwerkstatt. Persönlich bin ich dem Film und dem Erzählen guter Geschichten seit früher Jugend verfallen. Obendrein das Augenzwinkern der Geschichte – genau mein Humor. Also, ich bin wieder mit von der Partie.

Holger Koenig: Stimmt schon, ich wollte diesen Stoff unbedingt verfilmen. Weil ich glaube, dass der Film, gerade weil er so gnadenlos überzeichnet, das Verständnis für echtes Storytelling voranbringt bei unseren Kunden. Erklärfilm hilft da nicht, das haben wir ausgiebig diskutiert. Natürlich braucht die Produktion eines Fiction-Films wie BEN, FRANKLY. eine andere

Herangehensweise als die Arbeit im Content Marketing. Da würde ich niemals Sorgfaltspflicht durch Fantasie ersetzen. Gleichzeitig können wir aber die Struktur unseres sauber recherchierten Contents am Storytelling des Fiction-Films orientieren. Ich glaube, dadurch werden unsere Inhalte noch erfolgreicher.

Achim Hubener: Auf allen Kanälen: Die Gesetze des Storytellings gelten bis hin zu sozialen Formaten, sogar Instagram-Storys …Was uns betrifft, kann ich sagen: Wir haben viel gelernt. Von Koenigsfilm und von der Profilwerksatt. Und davon wird wdv profitieren. Also, gern mehr davon!

Holger Koenig: So geht’s mir auch. Wann produzieren wir denn unseren zweiten Film? Habt ihr einen Stoff, der sich eignet? Ich bin sofort wieder dabei.

Weiterführende Informationen zu BEN, FRANKLY. gibt es auf der Website, Instagram, Twitter, Facebook, YouTube und Vimeo.


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(bmw) 08.07.2019


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