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Donnerstag, 28. März 2024

#rickrolled in Cleveland – Content Marketing World 2017

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Die Content Marketing World hat mittlerweile einen gewissen Reifegrad erreicht. Trotzdem lohnt sich nach wie vor eine Reise nach Cleveland – Dr. Simon Geisler, Chief Marketing Officer beim Ulmer Ebner Verlag, über Inszenierungen, Trends und Learnings auf der CMW 2017

© Dr. Simon Geisler

Am 5. September 2017, Reste des Sommers lagen noch in der Luft, begann das alljährliche orangene Content Marketing-Hochamt in Cleveland: Joe Pulizzi eröffnete zum siebten Mal die Content Marketing World – der Welt größtes Content Marketing-Event.

Ich bin – als Verlagsmensch kein typischer Besucher – seit mehreren Jahren regelmäßig dabei. Was hat sich verändert? Und vor allem: Lohnt sich für Marketers (und Verlagsmenschen) aus Deutschland und Europa der mit erheblichem Aufwand verbundene Besuch in Cleveland?

Etabliert und bewährt – und nach wie vor unerreichtes Vorbild

Deutlich wird bei einem Blick ins Programm und schließlich bei der Eröffnung: Die CMW ist etabliert und kommt in die Jahre. Man kennt viele Referenten. Natürlich sind die Stars, die Jay Baers, Marcus Sheridans und Ann Handleys wie üblich vertreten. Und natürlich kennt man auch viele Themen: Aufbau einer (dokumentierten!) Content Marketing-Strategie, SEO- und Analytics-Basics, ROI-Sessions, die typisch amerikanischen Case Studies, bei denen Unternehmen aus dem Nichts gigantische Audiences aufbauen, indem sie einfach authentisch sind. Das muss auch so sein, denn Insider wissen: 50 Prozent der CMW-Besucher kommen zum ersten Mal. Die muss das Team des Content Marketing Institute um Joe Pulizzi zuverlässig abholen – und das geht mit den Standards, nicht mit Visionen. Dagegen ist auch gar nichts einzuwenden, denn nach wie vor gilt: Auch bei den Basic-Themen und Case Studies gibt es in Deutschland (leider) bislang nichts Vergleichbares.

Das gilt auch für die Speaker. Fachlichen Input mit Entertainment-Anspruch zu verbinden, gelingt in Cleveland nach wie vor zuverlässig. Die deutsche Speaker-Szene kann sich da gleich mehrere Scheiben von abschneiden.

Der „Flash“ bleibt aus – Video ist das neue Ding

Der Fokus auf die praktischen Basics hat aber – zumal für den regelmäßigen CMW-Besucher – auch zur Folge, dass sich das für die früheren Jahre so typische „Flash-Erlebnis“ nur noch selten einstellen mag. Man hört ganz überwiegend Dinge, die man bereits wusste oder zumindest schon einmal gehört hat – was nicht zwangsläufig heißt, dass man sie auch bereits versteht oder gar umsetzt(!).

Das „große neue Ding“ dieses Jahr: Video – in allen Darreichungsformen. Dass Bewegtbild-Content zunehmend von der Kür zur Pflicht wird und viele Audiences mit konventionellem Text- und Bild-Inhalt gar nicht mehr erreichbar sind, pfeifen die üblichen Blogger-Spatzen zwar längst von den Dächern. Aber auch so ein Thema muss operationalisiert werden, um im täglichen Tun erfolgreich anzukommen.

Hier leistet die CMW mit einer Vielzahl von spezialisierten Sessions einen wichtigen Beitrag. Wie lassen sich erfolgreiche YouTube-Channel aufbauen? Wie macht man nicht bloß Webinare, sondern coole Webinare? Und wie wird ein eher biederes Format wie das Webinar zunächst cool und dann zur Conversion-Maschine, die die gesamte Buyer Journey begleitet? Dass Standards wie die Wiederverwertung und Modularisierung von Themen und Content dabei mitgedacht werden, versteht sich mittlerweile von selbst. Und genau hier liegt ein weiterer großer Vorzug der CMW: Ein handwerkliches Thema wie „Webinar“ wird hier nicht in einem handwerklichen Silo behandelt, sondern in einem verkäuferischen und strategischen Zusammenhang. Und erst dieser macht die Sache überhaupt erst interessant. 

Speaker, die über solche Themen nicht nur referieren, sondern sie anfassbar machen und den inspirierenden Funken schlagen, der das Ganze dann ins eigene Tagesgeschäft übertragbar macht, sind immer noch das große Asset der CMW, das den – von Europa aus aufwendigen – Besuch unbedingt rechtfertigt.

Content Marketing und CMW auf dem Plateau

Die Inszenierung der diesjährigen CMW zeigt darüber hinaus aber auch: Wie von Joe Pulizzi in der Keynote des letzten Jahres bereits erwähnt, erreicht Content Marketing als Thema und Bewegung seit etwa 2015 ein Plateau. Eine beiläufige Google-Trends-Auswertung für den Begriff macht das deutlich:

Content Marketing-Interesse im Zeitverlauf

© Dr. Simon Geisler

Das Plateau spiegelt sich in den Besucherzahlen der CMW. Ohne über offizielle Besucherzahlen zu reden, kann man davon ausgehen, dass das Event seit 2015 nicht mehr wesentlich gewachsen ist. Das „Plateau“ des Themas spiegelt sich in den, größtenteils bekannten und sich mittlerweile wiederholenden Themen.

Selbstironie und saturierte Müdigkeit

Vor allem schlägt das Plateau aber mittlerweile auch in der Inszenierung des Events durch. Gab es im letzten Jahr noch eine in ihrem monumentalen Anspruch teilweise absurd wirkende Stars Wars-Umrahmung, die nur von der bei gutem Entertainment immer mitschwingenden Selbstironie vor der Lächerlichkeit gerettet wurde, verlegte sich das CMI-Team dieses Jahr gänzlich auf zärtliche Selbstironie und Retro-Charme – ein deutliches Zeichen für eine gewisse saturierte Müdigkeit aller Beteiligten.

Die Insidern bekannte Spannung zwischen den Platzhirschen Pulizzi und Rose karikierte der obligatorische Eröffnungsfilm gekonnt und liebevoll, gespickt mit vor allem für langjährige Besucher aufschlussreichen satirischen Spitzen auf Pulizzis Orange-Obsession und Roses Hang zu sprachlich ausufernden strategischen Höhenflügen. Passend zum selbstreferentiell-selbstironischen Grundton des Ganzen war der 80er Jahre-Soundtrack, den die Inszenierung konsequent durchhielt, bis hin zu Joe Pulizzis Eröffnung der CMW zu Rick Astleys „Never gonna give you up, never gonna let you down“ - #rickrolled in Cleveland. Die Botschaft war klar: Hier hat ein Format einen Reifegrad erreicht, der selbstreferentielle Ironie nicht nur erlaubt, sondern geradezu erzwingt – da sonst die Wiederholung der im Wesentlichen immer gleichen Standards langweilig würde. Ein Phänomen, das man sonst von alternden Hollywood-Legenden kennt, denen die große Idee für die Alters- und Reifephase (noch) fehlt.

„YOU“ – Robert Rose schwebt über dem Plateau

Robert Roses gewohnt eloquenter Keynote kam dabei wie in jedem Jahr die strategische Überbau-Funktion zu. Wo sich die meisten Speaker (zum Glück!) auf die konkreten Details konzentrierten, lieferte Rose den Ausblick auf das „next big thing“, das „big picture“ oder auch ganz schlicht, die Zukunft. Die ist bei Robert Rose freilich so strahlend wie diffus. Dass Marketing-Kosten in Zukunft keine Kosten mehr sein, sondern zu eigenen, das Stammgeschäft hinter sich lassenden Geschäftsmodellen werden sollen, ist vermutlich klug beobachtet und kombiniert – eine Marke wie Lego steht heute nicht mehr primär für eher biederes Systemspielzeug, sondern für höchst erfolgreiche Animations-Filmwelten, zu denen dann „die passenden Spielsachen“ produziert und mittels der Hollywood-Reichweite vermarktet werden.

Nur: Von der konkreten Lebenswelt des (mittelständischen) Durchschnittsmarketers, der in der Google-Suche auf keinen grünen Zweig kommt und dessen Management die Relevanz von Content nicht begreift, ist all das dann doch sehr weit entfernt. Was das entsprechend für den einzelnen bedeuten mag, sagte Rose denn auch nicht, sondern beschränkte sich stattdessen darauf, dass die Verwirklichung des „next big thing“ – das wir natürlich noch nicht kennen – einem der glücklichen Besucher im Saal – „YOU!“ – zukäme. Derlei ist in jedem Fall trickreich, erbaulich auch, vielleicht sogar inspirierend, aber – mit Verlaub – für niemanden in irgendeiner Form handlungsleitend.


© Dr. Simon Geisler

Man muss nicht allzu intensiv gründeln und auch nicht polemisch werden, um diesen Eindruck einer gewissen saturierten Müdigkeit zu der Tatsache in Beziehung zu setzen, dass der Gründer der Content Marketing World diese im Juni letzten Jahres verkauft hat.

Gretchenfrage: Hinfahren oder nicht?

Lohnt sich also der alljährliche Besuch in Cleveland nun also oder nicht? Anwaltsantwort: Es kommt darauf an.
Wer die Content Marketing-Szene (zumal die amerikanische) gut kennt, wird im breiten Themenstrom der CMW mittlerweile immer weniger Neues entdecken. Er wird auch die „saturierte Müdigkeit“ des ganzen Unternehmens und seiner Vordenker verstärkt wahrnehmen. Für die Zukunft wird interessant sein, wie die prominenten Köpfe hinter dem Label „Content Marketing“ künftig mit dieser thematischen Saturiertheit umgehen werden. In welche Richtung wird das Ganze sich entwickeln? Was wird auf das Plateau gesetzt? Das ist die für Kenner spannende Frage. Ich bezweifle allerdings, dass die CMW künftig das Forum für die Diskussion dieser Fragen sein wird. Was das für den langjährigen Besucher der CMW bedeutet, muss jeder selbst wissen.

Wer sich für diese – teilweise arg selbstreferentielle – Meta-Ebene im Content Marketing wenig oder gar nicht interessiert, sondern vor allem an einer Übersicht über die Standards des Gewerbes und deren höchst gekonnter und strategisch durchdachter Vermittlung interessiert ist und vermutlich zum ersten Mal nach Cleveland fährt, wird damit auch künftig nichts falsch machen. Eine Woche Arbeitsausfall, jeweils 18 Stunden Hin- und Rückreise plus Jetlag, Kongressticket und Hotelkosten werden hier auch 2018 ein gutes Investment sein.


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(bmw) 11.09.2017


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